8. Mastkur
Die nächste Woche regnete es. Torsten war zu einer Weiterbildung und Karsten vertrödelte die Zeit. Meist zappte er durchs Fernsehen. Manchmal las er was. Er hatte auch Radiohören und Hörbücher für sich entdeckt. Da entspannte man die Augen und konnte anders als beim Lesen nebenher essen. Und Karsten aß jetzt eigentlich ständig. Seine Oma hatte gelernt, dass fünf feste Mahlzeiten zu viel sind und Karsten überforderten. So brachte sie ihm hier mal ein Eis oder Karamellpudding, da mal ein Stück Buttercremetorte, hier mal zwei dicke Scheiben Leberkäse im Bierteig, da mal Sauerkrautklöße mit viel Schinkenspeck, dann mal einen Käseauflauf. Im Prinzip war der ganze Tag ein zwei dutzend Gängemenü. Wenn er mal las stand in der Nähe eine Schüssel mit Mürbeteigplätzchen oder eine Schale mit Süßigkeiten. Torstens Besuch, hatte bei Karstens Oma etwas Verschüttetes freigelegt. Bislang wollte sie nur, dass es Karsten gutgeht, dass er sich wohlfühlt und dass beste was sie für ihn tun konnte war kochen, braten und backen. Jetzt wo sie gesehen hatte, wie stämmig und wohlgenährt ein gleichaltriger Junge aussehen konnte, hatte es „klick“ gemacht. Sie erinnerte sich. Damals wenige Jahre nach dem Krieg kam ein Junge zu ihnen. Er war vier Jahre älter als sie – 15. Man sagte er sei der Enkel einer Cousine ihres Großvaters mütterlicherseits und diese habe nach Kurland geheiratet. Seine Ärmchen und Beine waren ganz schmal, dünn wie Streichhölzer und sahen aus als könnten sie kaum den Oberkörper tragen. Sein Gesicht war hohlwangig. Ihre Mutter sprach „Wir müssen ihn etwas auffüttern.“ Sie briet ihm gleich ein Pfund Speck mit zwei Spiegeleiern. Er bekam immer den fettesten Bauchspeck beim Schweinebraten. Ihr Vater war ja Viehhändler und man hatte genug. Er musste immer süße Sahne und Dickmilch trinken und Schmalzstullen essen, mindestens sechs Stück jeden Abend und morgens Milchsemmeln mit Rosinen. Nach einem halben Jahr hatte er volle Pobacken wo vorher kein Hintern war, seine Oberschenkel waren leicht speckig und so umfangreich, dass sie den Stoff seiner zuvor schlabbrigen Hose gut ausfüllten. Sein Bauch wölbte sich über seine Hosen und sein Gesicht war rundlich. Er hatte auch nach der Aufpäppelung immer großen Appetit. Mutter hatte es wohl leicht übertrieben. Er bekam bald ein Doppelkinn, einen runden weichen Bauch. Eigentlich war alles an ihm rund, und er wuchs schneller in die Breite als in die Höhe. Er trug eigentlich immer Hosen mit eingesetzten Keilen, weil sie ihm ständig zu eng um die Hüften wurden. Ihr Vater meinte mal boshaft, sie hätte den Jungen fast wie ein Schwein gemästet, aber alle lobten ihre Mutter wie wohlgenährt der Junge doch sei. Auch bemerkte sie, wie die Mädchen bewundernd-begehrliche Blicke ihm hinterherwarfen im Gegensatz zu den dünnen Jungs. Später bemerkte sie einen Klassenkameraden, wie dessen Kleidung etwas enger geworden war, nachdem er in den Herbstferien bei seiner Tante war. Nach Weihnachten hatte er noch ein bisschen mehr zugelegt, was sie trotz neuer Kleidung mit ihrem geschulten Auge bemerkte. Ein dreiviertel Jahr später waren sie verheiratet, da hatte er schon ein richtiges Bäuchlein.
Sie wusste, die Jugend heute aß kein fettes Fleisch mehr, sondern schnitt den Fettrand ab. Zumindest dick bestrichene Schmalzstullen nahm Karsten dennoch gerne. Dickmilch und Süße Sahne konnte man mit Obst aus dem Garten veredeln, und leicht gekühlt war es erfrischend. Der Junge bekam nur noch dies zu trinken. Das war besser als süße Limonade. Nutella war erfunden worden um nach dem Krieg bzw. der Nachkriegszeit unterernährte Kinder und Jugendliche aufzufüttern. Und pfundweise in Eierkuchen eigerollt verdrückte sie jetzt Karsten, dazu sahnegefüllte Windbeutel und Eclairs mit Kakaobuttercreme. Beim ersten Mal als sie ihm Confit servierte, ekelte sich Karsten. Aber sie erklärte ihm, dass es nichts Anderes war als das Schmalz auf den Fettbemmen, und er fand es sehr lecker, nachdem er es probiert hatte. Karsten lag mit Jogginghosen die ganze Woche auf dem Sofa und futterte. Nur mühsam schleppte er sich abends in sein Bett.
Es war Sonntag. Torsten war wieder da. Nach einem kräftigen Bauernfrühstück – morgens hatte Karsten immer heftigen Hunger – wollte man zu einer Kirmes zwanzig Kilometer entfernt fahren. Es war heute trocken, wenn auch ziemlich kühl. Deswegen wollte Karsten sich seine Jeans anziehen. Er zuppelte sie sich über den Hintern und versuchte sie zu schließen, aber so sehr er auch zerrte, es war eine Lücke. Er legte sich auf das Bett und zog den Bauch ein. Die offenen Enden berührten sich, aber er schaffte es nicht den Knopf ins Loch zu bekommen. Er dachte: ‚Oma hat sie zu heiß gewaschen.' Da fiel ihm ein, seine Oma hatte diese Hose noch gar nicht gewaschen. Er wollte sich das gerne ansehen, aber es gab hier oben nur einen kleinen Spiegel über dem Waschbecken des Bades. Karsten wusste das ein großer Spiegel unten im Schlafzimmer seiner Großmutter war. Aber wie sollte er begründen, dass er in ihr Schlafzimmer wollte? Er zog sich wieder seine Jogginghose an, nahm sich ein Stapel Klamotten und fragte Oma, ob er ihren Spiegel benutzen dürfe um sich fein zu machen.
Sein Bauch wölbte sich etwas hervor. Logisch, er hatte ja etwas viel gegessen heute Morgen. Über den Gummibund wölbte sich ein mehrere zentimeterdicker Fettwulst, der an den Hüften breiter wurde. Es klopfte. Ohne eine Antwort abzuwarten trat Torsten ein. „Ich habe gehört du machst hier eine Modenschau.“ „Kann man auch in Jogginghose zur Kirmes gehen? Ich habe heute zu gut gefrühstückt um noch in meine Jeans zu passen.“ ‚Nicht nur heute hast du zu gut gegessen.' Dachte sich Torsten. Karsten hatte sich in der einen Woche sichtlich verändert. Sein Bäuchlein wölbte sich deutlich hervor und war leicht speckig. Er hatte echte Lovehandles – Liebesgriffe bekommen, klein zwar aber deutlich. Er hatte runde Pobacken. Seine ehemals muskulöse Brust war etwas weicher geworden. Sein Schlüsselbein zeichnete sich noch eindeutig ab, aber sein Gesicht war irgendwie ein wenig voller geworden. Karsten sah ziemlich gut genährt aus, hart an der Grenze zur Pummeligkeit.
„Mit dieser habe ich es noch nicht probiert.“ Torsten bemerkte wie Karstens Hintern den Stoff straff ausfüllte. „Gnn, gnn, gnn.“ Machte Karsten, der sich hingelegt hatte im verzweifeltem Kampf mit seiner Jeans. „Habe ich zugenommen? Das muss ja dann eine Menge sein.“ „Mach mal halblang. Du hattest kein Schwimmtraining mehr und dann der Prüfungsstress. Klar hast du das eine oder andere Kilo zugenommen. Aber das ist hier ja auch eine Bundweite 30. Ich hatte schon mit 15 32 getragen, und damals war ich nicht dick. Die 30 ist für ganz Schmale. Frag mal deine Oma, ob du etwas dürr bist? Die wird dir das sicher bestätigen. Ich kann dir eine alte Hose von mir besorgen. Bin in zehn Minuten wieder da. Aber vorher fragen wir deine Oma.“ „Was denn?“ Torsten zog den verdutzten Karsten mit nacktem Oberkörper und offenen Hosenstall zur Küche. „Frau Lehmann, wir brauchen mal die Einschätzung einer erfahrenen Person. Dieser junge Mann hat Angst, dass er dick wird und sorgt sich um seine schlanke Linie. Wie würden sie ihn beurteilen von Hungerhaken bis pummelig?“ „Ich würde mir wünschen, er wäre etwas stabiler und wohlgenährter. Ja er ist sicher kein halbverhungerter Strunk aber doch noch sehr knabenhaft dünn. Er müsste noch eine ordentliche Portion Fleisch draufpacken, damit er endlich etwas männlich wirkt und in der Mitte breiter werden.“ „Haben sie nicht ein Stückchen Kuchen für den jungen Knaben, damit seine Nerven sich beruhigen?“ Karsten sollte sich auf keinen Fall vor dem großen Spiegel weiter begutachten. Denn Torsten gefiel die etwas fülligere Figur an Karsten, denn sie machte ihn hübscher.
Torsten hatte Hosen Bundweite 36 mitgebracht, die ihm noch vor zwei Jahren gepasst hatten. Karsten waren sie gar nicht so reichlich. Trotzdem hätte man einen Gürtel gebraucht. Torsten hatte aber Hosenträger. Karstens Bauchansatz war durch die Hosenträger und die weiten Jeans faktisch nicht zu sehen, zumal das rote Knöpfhemd auch einen komfortablen Schnitt hatte. Er ließ Karsten sich im Spiegel betrachten und der musste zustimmen, dass er vollkommen schlank war. Er dachte bei sich: ‚Zugegeben Oma überfüttert mich maßlos, aber es stimmt, ich bin wohl nur normal dünn geworden statt sehr schlank und ich sollte einfach an der Uni einem Sportklub beitreten. Dann bleibe ich im Training. Und wenn ich noch ein paar Kilo hier zunehme in den verbleibenden zweieinhalb Monaten, dann bekomme ich die schnell wieder los und werde die Zeit ohne mir Sorgen zu machen genießen.'
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