Sonntag, 12. Februar 2023

Sommer bei Oma Teil I

 1.Die Zugfahrt



Der Zug ruckelte über die Gleise. Das Geschaukel machte es Karsten schwer den Buchstaben im Buch zu folgen. Vor seinen Augen begann alles zu verschwimmen. Er wurde etwas rammdösig. Die Junisonne brannte durch die Scheibe und heizte seine Kleidung auf. Wie schade das man bei den Zügen heutzutage nicht mehr die Fenster öffnen kann! Wie gern Karsten sich den Fahrtwind um die Nase wehen ließe, wie er es als Kind so oft auf der Fahrt getan hatte. Ja Karsten war auf dem Weg zu seiner Oma, stolz eine Kopie seines Abizeugnisses in der Tasche, wollte er ein paar erholsame Monate bis zum Beginn des Studiums im Oktober verbringen. Andere nutzen diese Zeit für eine große Reise, aber das Geld hatte Karsten nicht. Ihm stand nach dem Prüfungsstress auch nicht der Sinn auf großes Abenteuer. Er wollte einfach ein paar Wochen ausruhen, chillen, lesen worauf er Lust hatte, im See baden.  Die Zeit zwischen Abi und Studium bei seinen Eltern zu Hause zu verbringen, schreckte ihn. Es überstieg sein Vorstellungsvermögen entspannen zu können, während seine Mutter, die nur halbtags arbeitete im Haus rumwuselte, vor allem wenn er im eigentlichen Sinne nichts zu tun hatte. Seine Mutter hätte ihn bestimmt mit der einen oder anderen Aufgabe belästigt. Mit ihrer ständig gehetzten, etwas hektischen Art konnte sie Karsten manchmal zur Weißglut treiben. Da war seine Oma ganz anders. Nicht nur dass die rundliche Frau eine warme Gemütlichkeit ausstrahlte, bei ihr konnte man sich einfach fallen lassen, und wurde betütelt und rundum verwöhnt. Hilfsangebote wimmelte sie ab, ja sie schien fast dadurch gestört zu sein, wenn man ihr zur Hand gehen wollte und wurde manchmal regelrecht unwirsch, was ihrer sonst so freundlichen und ausgeglichenen Art widersprach. Am besten ließ man seinen Hintern in den Sessel sinken und sich bedienen. „Hast du es bequem? Hier sind noch ein paar frischgebackene Muffins, das Abendessen ist erst in einer Stunde fertig.“ Der einzige Daseinszweck seiner Oma schien zu sein, andere zu verwöhnen, vor allem wenn es sich um ihren Enkel handelte.

Karsten versuchte noch etwas zu lesen, doch es gelang ihm nicht. Er schaute aus dem Fenster, aber die Felder und Wiesen waren auf Dauer etwas eintönig. Er griff eher aus Langeweile nach einem fettigen Krapfen aus der Tüte. Es sollte eigentlich seine Notreserve sein. Die Zugfahrt dauerte noch eine knappe Stunde. Er hatte sich sechs Stück beim Bahnhofsbäcker gekauft um sich Proviant für die Fahrt zu holen. Sie waren im Sonderangebot 3 Stück für nur 99 Cent. Da hatte er zugeschlagen. Karsten streichelte sich träge über seinen satten Bauch und döste während des Geschaukels des Zuges ein. Karsten war ziemlich durchschnittlich anzusehen. Er hatte braunes Haar, das zu leicht lockigem Wuchs neigte und deshalb immer etwas verstrubbelt aussah. Sein Gesicht war weder besonders schmal noch rundlich. Er war normal gebaut, nicht besonders schlank noch pummelig, mit 1,82m durchschnittlich groß. Neben dem Schulsport betrieb er Schwimmen aber nicht verbissen. Karsten war zwar Mitglied des Vereinssportteams aber nicht einer der großen Leistungsträger. Er schwamm, weil es ihm Spaß machte. Daher hatte er eine etwas muskulöse Brustpartie, die sich jetzt unter seinem T-Shirt deutlich abzeichnete. Da sein Hemd etwas hochgerutscht war, konnte ein Betrachter so was wie ein Ansatz zum Speckröllchen sehen, dass sich über den Gummibund schob. Oder besser gesagt der Gummi schnitt ein wenig ins Fleisch ein. 70 Kilo wog Karsten. Das war nicht zu wenig für einen etwas sportlichen 19-Jährigen – aber auch nicht zu viel. 

Karsten schreckte hoch und sah, dass es gerade noch rechtzeitig war um seine Sachen zusammenzusuchen. Er hatte einige Haltepunkte mit Ansage verschlafen. Er schulterte seinen Rucksack und nahm den großen Rollkoffer an der Hand. Es waren nur wenige hundert Meter zum Haus seiner Oma. Als er bei ihr klingelte öffnete sie die Tür und begrüßte ihn mit den Worten. „Du kommst genau richtig. Das Essen ist gerade fertig geworden.“

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