Dienstag, 14. Februar 2023

Sommer bei Oma Teil III

 Der alte Freund



Seit einer Woche war Karsten bei Oma. Es waren Tage der Völlerei. Der Tag begann mit einem üppigen Frühstück. Mittag- und Abendessen waren warm und reichlich. Seine Oma tafelte Rollbraten mit Klößen, Bratwürste, Eisbein und einmal eine ganze Gans auf. Das Essen war traditionell, fettig aber lecker. Dazwischen gab es nachmittags Kuchen oder Torten. Backen konnte seine Großmutter hervorragend. Karsten konnte sich wegen des vielen Essens kaum bewegen. Er döste im Liegestuhl im Garten, lag auf dem Sofa, saß im Sessel und schaute fern oder lümmelte auf dem Bett und las. Wobei, eigentlich aß er ständig. Seine Großmutter sorgte immer dafür, dass eine Schale mit Süßigkeiten, Gebäck oder Knabbereien in Karstens Reichweite stand. Und gedankenlos bediente er sich davon. Einige Tage waren schön andere verregnet, aber Karsten konnte sich nicht aufraffen was zu unternehmen. Er fühlte sich ständig viel zu sehr genudelt um sich großartig zu bewegen. So glitten die Tage träge dahin.

Aber irgendwann dachte Karsten, du kannst doch nicht den ganzen Sommer nur rumgammeln? Karsten dachte an Torsten. Das war sein Ferienfreund in seiner Kindheit. Immer wenn er bei Oma war, waren beide unzertrennliche Spielkameraden, bauten Staudämme im Bach, schwammen im See, kämpften als Ritter und befreiten entführte Prinzessinnen, bis Torsten einmal meinte, es sei ungerecht, wenn sich immer die Jungs abplagen müssen ein Mädel zu befreien. Mädchen seien doof. Letzterem konnte Karsten zustimmen, und so befreiten sie von nun an immer einen schönen Prinzen. Karsten musste versonnen schmunzeln als er daran zurückdachte. Auf was für Flausen man doch als Kind kommt!

Beide hatten sich aus den Augen verloren. Karsten kam seltener in den Ferien zu Oma und auch nicht so lange und mit 16 nach seinem Realschulabschluss verließ Torsten das kleine Städtchen, weil er anderswo eine Lehre ergattert hatte. Vor kurzem war er zurückgekehrt, so hatte Karsten kürzlich von seiner Oma erfahren. Torsten zu besuchen war eine gute Idee. Auch wenn das Mittagessen einige Stunden zurücklag, brauchte Karsten mehrere Anläufe um sich aus dem Sofa herauszuhieven.  

Es war ein warmer sonniger Tag als Karsten gemächlich den staubigen Weg zu Torsten schlurfte. Als er zum Grundstück kam, sah er ihn schon im Garten am Motorrad basteln. Er trug eine kurze Turnhose, die sichtlich zu knapp bemessen war.  So saß der Hintern in der Hose, wie Torsten gerade dahockte, dass man meinte, er müsste jeden Augenblick den Stoff der Hose platzen lassen. Da hinten das T–Shirt hochgerutscht war, konnte man gut erkennen wie seitlich der Speck hervorquoll. Durch das Geräusch des Herankommens aufgeschreckt, erhob sich Torsten zu Karsten herumdrehend. Als Karsten seinen alten Freund so sah, war er schon ein wenig erstaunt. Torsten war schon früher etwas kräftiger gebaut als Karsten: dickere Oberschenkel, breiterer Rücken und ein leicht gerundetes Bäuchlein. Torsten war nie dick aber schon ein bisschen wohlgenährt. Jetzt jedoch war da ein richtiger runder Bauch, der über den Hosenbund hing, das hätte kein noch so großes T-Shirt kaschieren können. Und das Gesicht unter dem schwarzen Haar mit den warmen haselnußbraunen Augen war runder geworden mit Pausbäckchen und einem sich abzeichnenden Doppelkinn. Karsten musste unwillkürlich in sich hineingrinsen. Torsten war aufgegangen wie ein Kräppelchen.  Torsten begrüßte Karsten freudestrahlend, und umarmte ihn herzlich. Als Karsten an den weichen Körper gepresst wurde, stieg in ihm ein unerklärliches Kribbeln auf. „Das muss Jahre her sein! Was treibt dich denn hierher? Besuchst du deine Großmutter? Bleibst du länger?“ „Ja den Sommer bis in den Oktober hinein.“ Torsten machte große Augen. „Ich habe gerade das Abi bestanden und bleibe hier bis im Herbst das Studium losgeht. Ich denke, ich habe mir die Erholungspause verdient. Und du – habe ich gehört – lebst wieder bei deiner Mutter?“ „Ja, die Firma hat mich nicht übernommen. Eigentlich hat sie so gut wie niemanden übernommen von einem Mädel mal abgesehen.“ Karsten erinnerte sich dunkel, dass Torsten eine Lehre bei einer öffentlichen Krankenkasse gemacht hatte. „Naja, jetzt bin ich erstmal Hartz IV und wieder zu Hause.“ „Wäre es nicht besser gewesen in der Stadt zu bleiben?“ Torsten schüttelte den Kopf: Das ging nicht. Das Jobcenter hätte nicht eine Wohnung finanziert. Bis zum Alter von 23 muss man bei den Eltern leben, auch wenn man ursprünglich woanders gemeldet ist.“ Oh, das ist aber Scheiße! Das tut mir leid, dass du wieder zurückmusstest.“ „Ne, das ist eigentlich ganz super. Ich kriege alles hier umsonst, Kost und Logis sozusagen frei, und muss nix dafür meiner Mutter bezahlen. Das ganze Geld, dass ich vom Arbeitsamt kriege, das ist quasi mein Taschengeld.“ Grinste Torsten. „Und wie weiter?“ „Mal schauen.“ Torsten zuckte mit den Schultern.

„Bei dir ist jetzt nicht Zivildienst oder Bund dran?“ „Nee, bin ausgemustert.“ Karsten runzelte die Stirn, Schweigen! „Äh und wieso?“ „Ähm ja, das war wegen des Gewichts.“ Karstens Stirn fragte noch mehr. „Bei der Musterung messen und wiegen die ja einen. Ehem, mein Gewicht – die hatten da eine Tabelle und für einsneunundsiebzig gabs da so einen Richtwert von 92 Kilo. Der Arzt hatte mich gefragt: Das Gewicht sei ja ein bisschen hoch, ich hätte ja schon etwas Übergewicht und für die Bundeswehr müsse ich ja fit sein und ob ich da mich bemühen wolle, da mich in dieser Hinsicht anzustrengen. Ich habe natürlich klar nein gesagt und schon war ich ausgemustert.“ Karsten konnte es nicht fassen. Sein Freund war ausgemustert, weil er zu fett für die Bundeswehr war! Als hätte Torsten Karstens Gedanken erraten, schob er hinterher: „Natürlich ne Garantie ist das mit dem Gewicht nicht. Ich hätte sogar fast 130 Kilo wiegen müssen um zwingend ausgemustert zu werden. Habe halt einfach Glück gehabt.“ Karsten konnte einfach nicht widerstehen. Er kniff Torsten spaßhaft in den weichen Bauchspeck. „Naja scheinst ja gut gelebt zu haben während deine Ausbildung.“ Torsten grinste verschämt, während er sich von der sanft zwickenden Hand zu befreien versuchte. „Den habe ich mir bei den Lehrgängen angesoffen. Wir hatten häufig spezielle Schulungen, wo wir mit anderen Azubis aus anderen Städten und auch anderen Krankenkassen zusammen waren – das waren immer die reinsten Saufgelage! Naja und ansonsten habe ich Kantinenessen im Betrieb beziehungsweise zuhause halt Fertiggerichte wie Gefrierpizza mir reingeschoben und Süßigkeiten zum Trost gegen Heimweh kannst du dir auch immer selbst kaufen. Da habe ich halt die Wampe bekommen.“ Torsten griff bei diesen Worten herzhaft in selbige hinein und schüttelte sie. Verwirrt bemerkte Karsten wie sich etwas in seiner Hose regte.

„Inzwischen ist wahrscheinlich das eine oder andere Kilo hinzugekommen. Gerade seit ich wieder hier bin, gibt es einfach nix zu tun. Habe mir ein Motorrad besorgt. Du weißt ja wie nötig man hier einen fahrbaren Untersatz braucht.“ Schließlich meinte Torsten mit einem Blick zu Karsten: „Aber hat ja den Anschein, als würdest du denselben Weg beschreiten.“ Karsten hatte keinen blassen Schimmer, was Torsten damit meinen könnte. Vielleicht hätte er nachgehakt, wenn Torsten nicht sofort fragte: „Na du musst ja offensichtlich auch nicht zum Bund. Was war denn bei dir der Grund?“ „Ähm ja … äh, du weißt vielleicht, dass ich bis zur 3.Klasse Bettnässer war, und da hatte ich noch eine alte Bescheinigung vom Arzt und deswegen bin ich ausgemustert worden.“ Karsten wurde sich bewusst, dass dies ja wohl auch ein ziemlich peinlicher Grund war ausgemustert zu werden. Auch wenn ihm jetzt Torsten in die Schulter boxte und rief: „Mensch, Glück gehabt!“ Ein bisschen schämte sich Karsten dafür, dass er sich kurz zuvor innerlich über Torsten so erhoben hatte.

Er hörte Torsten sagen: „Was wollen wir denn unternehmen? In fünf Minuten bin ich fertig. Wir könnten dann zum See baden fahren.“

1 Kommentar:

  1. I love your post ! I'm so sad that your account on a tumblr was deleted. I'm so glad now because I've found back your account.

    AntwortenLöschen